Träumt der Franzose, so träumen wir auch.

Von G. R.
in: „Neue westfälische Volks-Zeitung” vom 3.7.1898


Auf der Paßhöhe, von der man weit nach Westen hin ins Land ausspähen kann, machte eine preußische Husaren-Patrouille soeben Halt. Sie kam von feindlicher Seite, aus der Richtung von Autun. Der Führer, ein junger Offizier, hielt mit dem Feldstecher scharfe Musterung nach allen Seiten. Kaum eine Minute später tauchte aus einem Gehölz im Osten die Spitze einer Infanterie-Abteilung auf, mit flottem Schritt steuerte sie gerade auf die Husaren los.

„Hoho, da sind sie schon,” sagte der Offizier befriedigt, „richtige alte Garde, sehen stramm und vertrauenerweckend aus, eine Menge Feldzugs-Medaillen und sogar ein paar Militär-Ehrenzeichen und Eiserne Kreuze. Da, schauen Sie mal hin, Bergmann!” Er reichte das Doppelglas dem hinter ihm haltenden Unteroffizier. „Es haben sich viele Leute aus den ältern Feldzugs-Jahrgängen freiwillig gemeldet — ausgezeichneter Geist — Bleiben Sie halten!”

Der Husaren-Offizier sprengte der nahenden Truppe entgegen und meldete sich bei dem Führer derselben, einem schon recht graubärtigen Premierlieutenant.

„Ach, was sehe ich?” rief erstaunt der Husar nach Erledigung der dienstlichen Formen, „Herr von Holberg? Ich habe Sie wahrhaftig in des Königs Rock zuerst nicht wiedererkannt!”

„Ja, ja, Graf, andere Kleider machen andere Leute,” erwiderte lächelnd der Landsturmführer, „und ich muß sagen, daß mit dem alten lieben Rock wieder ein gut Teil Jugendfeuer über mich gekommen ist!”

„Zweimal Schwarzweiß,” studierte der junge Offizier an der Ordensschnalle des ältern Herrn, „siebzig, sechsundsechzig und so weiter, habe ja gar nicht gewußt, daß Sie schon so manchen Strauß bestanden haben, trotzdem ich nun schon seit sechs Jahren die Ehre habe, in ihrem Hause verkehren zu dürfen!”

„Na ja, so ein Zivilist läuft doch nicht immer in Parade herum. Im übrigen erlaube ich mir, Sie jetzt samt Ihren Husaren zu einem Imbiß einzuladen, wir werden sofort abkochen; der Fourage-Wagen kommt gleich hinter drein — sehen Sie, da ist er schon. — Erste Sektion halt! Zugweise links aufmarschieren!”

Die Kompagnie stellte einen einzigen Doppelposten aus, der vollständig genügte, setzte die Gewehre hinter dem mit Buschwerk bestandenen Rande der Hochebene zusammen und legte das Gepäck ab.

„So ihr alten Schweden,” rief Premier-Lieutenant von Holberg, „bequemer können wir's nicht haben, hier die prächtige Quelle und Steine in Masse zum Kochherdbau. Dort Kiefern und unsinnig viel Buschholz; Wasser- und Holzkommandos sind also überflüssig. Na denn los mit dem Abkochen, ich gebe über zwei Stunden Zeit — Kessel abschnallen! — Was haben wir zur Stärkung, Heinrich?” wendete er sich an seinen vom Gute mitgenommenen Leibdiener, der auch in der Landsturm-Uniform prangte und eine breite Bänderschnalle über dem Herzen trug.

„Mehr wie bei Königgrätz und Amiens, Herr Lieutenant,” schmunzelte Heinrich, „wenn der Herr Lieutenant befehlen, mache ich „Lendenbeefsteak mit Bratkartoffeln; Pfeffergurken und Holländerkäse sind auch da, samt Brot und Butter. Zum Essen giebt's Wein, nachher Kaffee!”

„Famos, alter Junge! Sind die Herren mit dem Küchenzettel einverstanden?” Holberg richtete diese Frage an seinen Gast und die drei Kompagnie-Offiziere und erhielt lebhaft zustimmende Antwort.

In Erwartung der kommenden guten Dinge lagerte man sich auf der sonnendurchwärmten Erde und vertrieb sich einstweilen die Zeit mit Plaudern und Rauchen.

„Haben Sie eine Ahnung, Herr Premier,” begann der älteste Lieutenant, der noch vor kurzem als Fabrikherr schaltete und waltete und nun plötzlich nach langen Jahren ins Militär-Verhältnis wieder einsprang, „haben Sie eine Ahnung, was die ganze Geschichte zu bedeuten hat? Seit zehn Tagen erst sind wir formiert, vorgestern nach Luxemburg auf die Bahn gesetzt, und jetzt marschieren wir bereits im vollen Feldvergnügen in die Welt hinein. Die Sache ist doch wenigstens ungewöhnlich!”

„Allerdings ist das ungewöhnlich,” erwiderte der Kompagnieführer ernst, „eine ungefähre Andeutung der Lage wollte ich Ihnen allen sowieso geben, die Frage kam also just zur rechten Zeit und Muße. Ich berichte Ihnen alles, was ich selbst weiß. Es sind bestimmteste Anzeichen vorhanden, daß das Großherzogtum feindlicherseits nicht mehr als neutraler Staat respektiert werden wird!” Graf Stüren, der Husaren-Offizier, nickte beistimmend; augenscheinlich war er durch triftige Gründe von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugt.„Infolgedessen kamen wir den Herren Rothosen ohne Gewissensbisse zuvor, sintemalen im Felde diplomatische Bedenken bekanntlich keinen Pfifferling gelten. Hier heißt es zur rechten Zeit zugreifen, sonst war man geleimt. Also flogen flink Kavallerie-Schwärme voraus, und der rheinische Landsturm trat ins Gewehr, um einstweilen bis zur Ankunft jüngerer Kräfte als Rückhalt gegen feindliche Handstreiche zu dienen. Und zwar sind geflissentlich nur die gedienten und körperlich noch kräftigen Mannschaften der Infanterie, Jäger und Pioniere eingezogen, wie wir zu unserer Genugthuung ja bereits feststellten. So hatte man die Möglichkeit, sich bald eine einigermaßen brauchbare Truppe schaffen zu können, und ich denke, es ist geglückt!”

„Jawohl,” stimmten die Herren bei, „unsere Landstürmer machen sich vortrefflich und fanden sich in Nu wieder in den straffen Soldatengeist hinein. Man merkt gleich, daß jeder Mann richtig seine Zeit in der Front abgedient hat. Das sitzt fest und ist leicht wieder aufgefrischt!”

„Was nun unsere Kompagnie betrifft,” fuhr Holberg fort, „so habe ich den Auftrag, bis an diesen Punkt vorzurücken, abzukochen und hier auf weitern Befehl zu warten. Mehr weiß ich nicht!”

Nach zwei Stunden war fertig abgegessen, und die Kessel wurden wieder aufgeschnallt, es ging alles wie am Schnürchen. Satt und wohl ausgeruht harrten die kräftigen bärtigen Männer, unter denen viele „Angegraute” waren, mit brennender Pfeife oder Cigarre der weitern Entwicklung der Dinge. Zu ihrem Kompagnieführer hatten sie unbedingtes Vertrauen; er war ein Rittergutsbesitzer aus ihrer Gegend, der früher als Linien-Offizier bei einem rheinischen Regiment diente und bald nach dem letzten Feldzuge den Abschied nahm, um sein umfangreiches Erbgut persönlich zu leiten. Sein Name stand noch bei manchen der ältern „Freiwilligen” von ihrer Dienstzeit her in guter Erinnerung als der eines wohlwollenden Vorgesetzten und tüchtigen, tapfern Soldaten. Solche Erinnerungen sprechen sich schnell in der ganzen Truppe herum und schaffen dem Führer Achtung und pünktlichen Gehorsam, den Mannschaften freudige Zuversicht.

Die Leute des Doppelpostens, welche man beide deutlich sehen konnte, schienen unruhig zu werden, und man bemerkte, wie sie sich gegenseitig Zeichen gaben. Der Husaren-Offizier drückte das Ohr auf den Boden und horchte gespannt. Dann sah er nach der Uhr und sprang auf. „An die Pferde, Bergmann, fertig zum Aufsitzen!” rief er seinem Unteroffizier zu, zog einen geschlossenen Brief aus der Tasche und reichte ihn dem Premierlieutenant von Holberg. Dieser hatte sich ebenfalls schnell erhoben und öffnete das Schreiben. „An das Gepäck — umhängen!” kommandierte er gleich darauf. Jetzt kam auch im Laufschritt ein Mann des Doppelpostens heran: „In gerader Richtung nach Westen Kanonendonner, doch ist nichts Auffälliges zu sehen!”

Nach ein paar leise mit Holberg gewechselten Worten ließ der Führer der Husaren aufsitzen und ritt im kurzen Trabe ein Stück voraus, während die Kompagnie Gewehr in die Hand nahm und auf demselben Wege in Sektionskolonnen folgte. Frt Goldfuchs des Lieutenants von Holberg gab das Marschtempo an, das allmählich immer flinker wurde. Der Kanonendonner verstärkte sich und kam zusehends näher, bald unterschied man auch Gevehsener; nach rechts und links hin wurde es ebenfalls laut. Jetzt senkte sich der Weg in eine flache Mulde, aus derem Grunde ein scharf eingeschnittener Bach aufblinkte. Dicht an der Straße lag eine Mühle mit massiven Gebäuden, jenseits derselben hob sich der Boden wieder langsam zu einem langgestreckten Hügel, dessen etwa acht- bis neunhundert Meter entfernten Kamm man bequem übersehen konnte. Neben der Mühle hielt bereits wartend Lieutenant Graf Stüren. „Hier, Herr von Holberg, die Gebäude sollen sofort zur hartnäckigen Verteidigung eingerichtet werden; der Divisions-Kommandeur will Ihnen selbst Instruktionen erteilen. Gott sei mit Ihnen — auf glückliches Wiedersehen!”

Die Herren schüttelten sich die Hände, und Stüren jagte nach vorn. Binnen kurzer Zeit starrten die Häuser mit verblendeten Fenstern und neugebrochenen Schießlöchern finster und drohend nach allen Seiten; das nach rückwärts führende Hofthor war zum verrammeln fertiggestellt, und von den Dächern flogen Schiefer und Sparren herunter, bis schließlich nur noch die nackten Mauerkanten der aus festen Bruchsteinen erbauten Gebäude nach oben übrig blieben. Da alte Pioniere und Bauhandwerker zur Genüge in der Kompagnie standen, ging die Zerstörungs- und Befestigungsarbeit rasch von statten. Die Einwohner waren geflüchtet, so blieb den Landstürmern glücklicherweise das Anhören des nutzlosen Jammers erspart, vor dem sich mancher brave Soldat mehr fürchtet als vor dem grimmigsten Feinde. Das Gefecht kam zurück, bald krönte sich der Hügel mit deutscher reitender Artillerie, und Eskadron nach Eskadron trabte über die steinerne Brücke des Mühlenbaches. Ein General mit kleinem Gefolge ritt langsam von der Höhe herab und nahm die Meldung des Lieutenants von Holberg entgegen. Beide Herren sahen sich scharf prüfend an und kopfschüttelnd fragte unvermittelt der General:„Bist du es wirklich, Holberg, oder ist's dein Geist?”

„Bernitz, dacht ich's doch!” rief Holberg erfreut,„na, hätte kaum geglaubt, mal unter deinem Kommando zu fechten!”;

„Ich auch nicht, lieber, alter Kerl! — Kommt so ein gescheidter Erfurter Kriegsschul-Kamerad uralten Datums wieder auf den Gedanken, als Lieutenant mitzumachen — ist die Möglichkeit! — Jetzt zum Dienst, wir haben nicht viel Zeit mehr. — Wir erhielten Nachricht, daß seit gestern früh scharf gefochten wird, ein paar Sperrforts sind schon erledigt. Uns steht hier nur Kavallerie gegenüber, aber massenhaft und mit viel Artillerie. Wenn wir diesen Punkt bis zur Nacht festhalten können, ist die beste Aussicht vorhanden, daß alles glatt und wunderschön abläuft. Ich gebe dir sofort bekannt, wenn alles durch ist; dann laß auch umgehend die Brücke verbarrikadieren und verteidige deine Stellung aufs äußerste. Unmittelbar vor dir hast du von Artillerie nichts zu besorgen, der Hügelkamm kann durch Gewehrfeuer wirksam abgefegt werden, und von der Seite ist das Ding schwer in die Gabel zu kriegen. Sind deine alten Knaben zuverlässig?”;

„Ich hoffe, ja!”

„Hast du sonst noch Wünsche und Bedenken?”

„Bitte um Patronen Excellenz, der Taschenbestand wird vielleicht nicht ausreichen!”

„Soviel du willst!”

„Dann bitte ich um zehntausend Rahmen!”

Der General gab einem Adjutanten Auftrag znd ritt nach schnellem Abschied davon. Nach ein paar Minuten rolltr ein Munitions-Wagen heran, dessen Inhalt sogleich am die Mannschaften verteilt wurde. Inzwischen protzte die deutsche Artullerie zugweise auf und ging im Galopp zurück, bald knatterten vom Hügel nur die Karabinerschüsse abgesessener Kavalleristen. Auch diese gaben die Stellung auf, eilten an die Pferde und donnerten bald darauf im vollen Jagen an der Mühle vorbei.

„Alles durch!” meldete ein Ordonnanz-Offizier.

Die Landsturmschützen lauerten schon wohlverteilt an ihren Schießlöchern, eine Sektion des im Hofe in Reserve haltenden ersten Zuges häufte die heruntergerisenen Dachsparren in wirrem Durcheinander auf die Brücke, so ein für Reiter und selbst Fußgänger unüberwindliches Hindernis herstellend. Dann wurde das Thor fest verrammelt.

An einem halb verblendeten Fenster des niedrigen Oberstocks lehnte Holberg mit dem Feldstecher am Auge. Drüben am Hügelkamm tauchten zögernd einige Punkte auf, es folgten mehr, sie sammelten sich zu Hunderten. Die Schützenpfeife schrillte. „Achtung, gut gezielt, Leute — Feuern!”

Unter dem losbrechenden Platzregen von Geschossen leerte sich die Höhe schnell von Angreifern, doch begann jetzt von dem jenseitigen Hange ebenfalls heftiges Feuer liegender Karabiner-Schützen herüberzupfeifen. Einige Schrapnels der rückwärts wieder in Stellung gegangenen deutschen Batterien vertrieben auch diese in kurzer Zeit. Nun rauschte aber ein Unwetter von Eisen über die paar deutschen Geschütze herein, daß den braven Artilleristen Hören und Sehen verging. Die Mühlenbesatzung konnte von den feindlichen Artilleriestellungen nicht das Geringste sehen, desto deutlicher vernahm sie den überwältigenden Donner and das Heulen, Pfeifen und Krachen der Geschosse. Marche gingen hoch über die verbarrikadierte Mühle fort, ein Schrapnel sprang vorzeitig und sendete seinen Hagel in den Bach, daß es klatschte und spritzte. So merkten die Landstürmer genau, daß sie vorläufig nicht von der feindlichen Artillerie mit direktem Feuer gefaßt werden konnten, wenn sie die bewußte Hügelwelle vom Feinde frei hielten, die Mühle lag zu tief. Rechts und links, so weit man blicken konnte, war das Gelände stark von Hecken und Gräben zerschnitten, für Artillerie und Kavallerie unpassierbar. Vor abgesessenen französischen Karabinerschützen aber hatte die alte Infanterie keinen besonderen Respekt, mit denen wollte sie schon fertig werden, und wenn ein Dutzend Welsche auf einen Preußen kämen.

Die deutschen Batterien wurden von der ungeheueren Uebermacht bald niedergekämpft und fuhren notgedrungen ab; von unserer Kavallerie war ebenfalls nichts mehr zu erspähen. Auf den Höllenlärm folgte eine drückende Stille.

„Ich steh' allein auf weiter Flur!” summte der lustige Freymann, der seine frühere Rolle als Kompagnie-Spaßmacher pflichtschuldigst wieder übernommen hatte.

„Jetzt kommen wir bald dran,” rief Lieutenant Holberg,„paßt mir nur scharf auf den Hügel auf! Wer etwas entdeckt, hält ohne Kommando hin, Patronen sind genug da — aber nicht unnütz feuern, Leute, ruhig Blut behalten und sauber zielen!”

Ein mäßiges Plackern von beiden Seiten zog sich wohl über eine halbe Stunde hin, dann setzten sich dichte feindliche Schützenketten fest und begannen, ein rasendes Feuer ins Thal hinab zu schmettern. Die Antwort blieb man ihnen nicht schuldig, und schon begannen auch in der Mühle Verluste einzutreten.

„Zufalltreffer,” meinte Holberg, „die Kerle schießen unter aller Würde, — aber zum Kuckuck, was ist denn das?” Drüben, von unsichtbaren Kräften geschleudert, tanzten in regelmäßigem Spiel Erdklumpen in der Luft heium.

„Oho, sie graben wahrscheinlich Geschütze ein — hinhalten, was die Läufe hergeben — Vollkorn — Befehl weitergeben!”

Die Mühle sprühte wie ein tüchtiger Hochofen. Das Spielen mit Erde ließ nach und hörte alsbald ganz auf, aber auf einen Schlag wimmelte das Vorgelände von vorwärts rennenden Franzosen. Trotz bedenklicher Einbußen drangen die tapfern Feinde bis auf zweihundert Meter heran, warfen sich nieder und eröffneten ein wütendes, aber schlecht gezieltes Feuer, während man in der rechten Flanke dichte Schwärme den Bacheinschnitt durchklettern sah. Von den Stallgebäuden suchte man diesen letztern das Leben nach Möglichkeit sauer zu machen, konnte aber doch nicht verhindern, daß ein paar Hundert herüberkamen und sich einnisteten.

Bum — bum! — Krach!

Diesen Angriff hatten feindliche Geschütze benutzt, protzten auf dem Hügelkamm ab und sendeten ihre donnernden Grüße herunter; im Mauerwerk klafften weite Löcher, inwendig rasselte es gewaltig.

Ehe noch der Befehl des Kompagnieführers dies anordnete, richteten sich sämtliche Läufe der Front auf den gefährlichsten Gegner, auf die Geschütze; instinktiv fühlten die Landstürmer heraus, worauf es in diesen entscheidenden Augenblicken ankam. Schon nach einer Lage erlosch das Artilleriefeuer, ohne daß in dem nahen furchtbaren Strom von Gewehr-Geschossen die Kanonen zurückgezogen werden konnten.

Den abgesessenen Reitern wurde es alsbald auch noch zu heiß, und was noch konnte, rannte in eiligen Sprüngen zurück. Von links erscholl hell aufflackernd gleich nach abgeschlagenem Angriff der Lärm eines fernen Gefechts, der mit Beginn der hereinbrechenden Dämmerung langsam verstummte.

„Der erste Zug löst den zweiten in der Besetzung des Hauptgebäudes ab und hält die Geschütze unter Feuer, sowie sich dort etwas rührt!” befahl der Führer. „Der zweite sammelt sich auf dem Hofe, legt die Toten an die hintere Umfassungsmauer und die Verwundeten zu ebener Erde ins Vorratsgebäude — Feldwebel — stellen Sie die Verluste fest! — Flink, flink, erster Zug!”

„Herr Lieutenant, von rückwärts her schleicht eine preußische Dragoner-Patrouille zu Fuß heran, sie winken uns zu!”

„Schiebt eine Leiter über die Mauer, wenn die Dragoner dicht heran sind!”

Es glückte dem Patrouillenführer unbemerkt vom Feinde hereinzukommen und eine anscheinend sehr wichtige und angenehme Meldung zu überbringen, denn das ruhige ernste Gesicht des Kompagnieführers überflog ein Freudenschimmer, und er teilte die Nachricht augenblicklich den Zugführern mit, die ebenfalls durchaus zufriedene Mienen zeigten. Ebenso unbemerkt verschwand der Dragoner-Unteroffizier wieder, und nach kurzer Zeit hörte man den Hufschlag eilig davonsprengender Reiter.

„Laßt die Leiter gleich stehen, Stroh her und Streichhölzer, setzt die Brücken-Barrikade in Brand!”

Der Befehl war sofort gründlich besorgt, und eine hohe Lohe schoß zum Abendhimmel empor. Drüben beim Feinde spürte man Bewegung, und der erste Zug gab rollend und knatternd sein Mißfallen zu erkennen. Erst bei völlig hereinbrechender Nacht sanken die letzten der entthronten Dachsparren in Asche.„Wasser darüber, alle Funken aus und die Steine abkühlen, damit ein vernünftiger Mensch sich nicht die Stiefelsohlen versengt. — Herr Lieutenant Stieler!”

Nach einer kurzen Instruktion rückte der gerufene Offizier vorsichtig mit ein paar Mann über die Mauer hinweg aus und nahm den Weg, den man gekommen war, eilig zwischen die Füße. Kaum nach einer Viertelstunde erschien er wieder und meldete sich zurück. Am etwas hellern Westhimmel konnte man die Umrisse der feindlichen Geschütze noch immer erkennen, und sobald sich dort etwas zu regen schien, ergoß sich ein Platzregen von Mantelblei darüber hin.

Premierlieutenant von Holberg stand jetzt hoch oben auf dem Boden des abgetragenen Daches und spähte unausgesetzt nach rechts vorwärts. „Da sind die Raketen!” murmelte er plötzlich, ein bebender Ruck ging durch seinen Körper — „eins — zwei — und drei!”

Er begab sich sogleich zum Führer des ersten Zuges und dann in den Hof.

„Thor auf! Seitengewehr pflanzt auf! Zweiter Zug im Laufschritt auf die Höhe, der Schützenzug folgt, dann der erste!”

Das gewaltig losbrechende Feuer aus dem Hauptgebäude verschlang im nächsten Augenblick jeden andern Laut, nach einer Minute verstummte es, nur die Fußtritte von ein paar hundert laufenden Männern waren vernehmbar.

„Hurra — Hurra — Hurra!” und sie waren zwischen den Geschützen. Hinter der Mühle war es gleichfalls lebendig, Kompagnie nach Kompagnie überschritt die Brücke, sie breiteten sich aus und drängten hinterdrein.

„Hurra — wir haben sie!” jauchzte es von vorn, Schüsse hallten dazwischen, Kommandorufe, fremdklingende Trompetensignale, wildes Geschrei und von der rechten Flanke her das Trappen von unzähligen Rossehufen. — —

Vier Landsturm-Battaillone rückten am nächsten Mittag mit über zwölfhundert Gefangenen, zwei erbeuteten kompletten Batterien, die allerdings arg zernagt vom Gewehrfeuer waren, und etwa tausend gesattelten Beutepferden in kurzen Märschen nach der Heimat ab. Die Kompagnie Holberg hatte zwei Offiziere und ein Drittel der Mannschaft verloren, Führer selbst saß mit dem rechten Arm in der Schlinge und verbundenem Kopfe auf seinem Goldsuchs, ohne das Kommando abzugeben. Auf einer Reihe von Wagen folgten die transportabeln Verwundeten und eine Menge Kriegsmaterial. Die „alten Schweden” hatten trefflich ihre Schuldigkeit gethan und den prachtvollen nächtlichen Flankenangriff der preußischen Kavallerie-Division nicht bloß unterstützt, sondern überhaupt ermöglicht. Ihre Toten schlummern unvergessen im Ehrengrab, der Lebenden wartet der Dank des Kaisers und des Vaterlandes.

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